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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 08.01.2007
Aktenzeichen: 12 U 1181/05
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 304 |
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Geschäftsnummer: 12 U 1181/05
Verkündet am 8. Januar 2007
In dem Rechtsstreit
Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dierkes, die Richterin am Oberlandesgericht Frey und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Eschelbach auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2006
für Recht erkannt:
Tenor:
I. Die Berufungen des Klägers und der Drittwiderbeklagten gegen das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 20. Juli 2005 werden zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens verteilen sich wie folgt:
- die Gerichtskosten haben der Kläger voll und gesamtschuldnerisch mit ihm zu 10 % die Drittwiderbeklagte zu tragen;
- die außergerichtlichen Kosten des Klägers und diejenigen der Beklagten zu 2) hat der Kläger zu tragen.
- die außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten hat diese selbst zu tragen;
- die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) haben der Kläger voll und gesamtschuldnerisch mit ihm zu 10 % die Drittwiderbeklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
Der Kläger verlangt in dem vorliegenden Rechtsstreit materiellen Schadensersatz, Schmerzensgeld und Feststellung der zukünftigen Schadensersatzpflicht aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 28. Mai 2003 gegen 9.30 Uhr auf der Bundesautobahn A .. in Fahrtrichtung B... in Höhe der Autobahnauffahrt I...-West zugetragen hat.
Der Beklagte zu 1) befuhr mit seinem Pkw die rechte Fahrspur der Autobahn. Er wechselte auf die linke Fahrspur, als sich auf der Einfädelspur der Pkw der Eheleute K... näherte und sodann auf die Autobahn auffuhr. Als der Beklagte zu 1) sich wieder in Geradeausfahrt befand, fuhr der Kläger mit seinem Motorrad Yamaha mit einer Geschwindigkeit von mindestens 190 km/h auf. Der Kläger trug dabei erhebliche Verletzungen sowie materielle Schäden davon; auch der Beklagte zu 1) erlitt Körper- und Sachschaden.
Der Kläger wirft dem Beklagten zu 1) vor, beim Fahrspurwechsel nicht den rückwärtigen Verkehr beobachtet zu haben. Der Beklagte zu 1) behauptet demgegenüber, er sei zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes schon etliche Sekunden in Geradeausfahrt auf der linken Fahrspur gefahren. Der Kläger habe nicht aufgepasst. Außerdem habe er sich möglicherweise mit einer Geschwindigkeit von 270 km/h genähert; er sei jedenfalls bei ordnungsgemäßer Rückschau nicht zu sehen gewesen.
Der Kläger verlangt unter Berücksichtigung seiner unstreitig hohen Geschwindigkeit 75 % seines Schadens ersetzt. Er hat in erster Instanz von beiden Beklagten die Zahlung von 10.660,43 € nebst Zinsen, ein Teilschmerzensgeld von mindestens 30.000 € sowie die Feststellung der zukünftigen Schadensersatzpflicht zu 75 % begehrt. Die Beklagten haben die Abweisung der Klage beantragt; der Beklagte zu 1) hat darüber hinaus gegen den Kläger und dessen Haftpflichtversicherer Widerklage erhoben, mit der er unter Aufhebung eines ergangenen Teilversäumnisurteils Zahlung von 1.798,56 € nebst Zinsen sowie ein Schmerzensgeld von mindestens 5.000 € verlangt. Wegen der wörtlichen Fassung der erstinstanzlichen Anträge wird auf Bl. 120, 219 und 281 Bezug genommen.
Das Landgericht hat am 20.7.2005 gemäß § 304 ZPO ein Zwischenurteil über den Grund erlassen. Es hat die Klage und die Widerklage jeweils zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt; es ist der Meinung, es seien nur die jeweiligen Betriebsgefahren gegeneinander abzuwägen, welche gleich hoch zu bewerten seien.
Gegen dieses Urteil haben der Kläger und die Drittwiderbeklagte zulässig Berufung eingelegt. Sie sind weiterhin der Meinung, dass die richtige Haftungsverteilung eine Quote von 75 % zugunsten des Klägers ergeben müsse. Wegen der wörtlichen Fassung der Berufungsanträge wird auf Bl. 298, 308, 309 und 344 GA Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils sowie auf die von den Parteien zu den Akten gereichten Schriftsätze und Unterlagen und die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Strafakten verwiesen.
Das Rechtsmittel ist unbegründet.
Das Landgericht hat zu Recht jedem Unfallbeteiligten einen hälftigen Mitverursachungsanteil zugewiesen. Hinsichtlich der Tatsachengrundlage schließt sich der Senat der Auffassung des Landgerichts an, wonach keine Seite der anderen ein Verschulden nachweisen kann.
Dies gilt zum einen in Bezug auf den Kläger. Dieser fuhr unstreitig äußerst schnell, was er aber im Bereich der Unfallstelle mangels Geschwindigkeitsbegrenzung durfte. Zu Recht hat das Landgericht eine Geschwindigkeit von etwas mehr als 200 km/h festgestellt (S. 8 des Urteils). Zwar konnte das Motorrad unstreitig eine Höchstgeschwindigkeit von rund 270 km/h erreichen. Nachgewiesen haben die Beklagte aber "nur" eine Ausgangsgeschwindigkeit von etwas mehr als 200 km/h, nachdem Anzeichen für eine länger andauernde Bremsung bei dem Kläger nicht festgestellt werden konnten und das Beschädigungsbild nach den übereinstimmenden Ausführungen der Sachverständigen J... und Dr. B... eine Kollisionsgeschwindigkeit des Klägers von ca. 190 km/h als gegeben auswies. Dass der Kläger aus Unaufmerksamkeit nicht über einen längeren Zeitraum bremste - was ihm zum Verschulden gereichen würde - ist denkbar, steht aber nicht fest, weil die Möglichkeit besteht, dass der Beklagte zu 1) erst kurz vor der Kollision die Fahrbahn gewechselt hatte.
Aber auch in Bezug auf das Fahrverhalten des Beklagten zu 1) und die dazugehörigen Begleitumstände besteht hinsichtlich wesentlicher Faktoren Unklarheit. Zwar ereignete sich der Zusammenstoß erst, als der Beklagte zu 1) sich wieder in Geradeausfahrt befand. Es steht aber nicht fest, ob er nicht bereits längere Zeit vor dem Zusammenstoß schon auf der linken Fahrspur gefahren war. Zwar ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass der Sachverständige Dr. B... ausgeführt hat, das Fehlen einer feststellbaren Reaktion des Klägers - sei es ein Bremsvorgang oder ein zu erwartendes Ausweichen nach rechts - spreche für ein kurzfristiges Ausscheren des Pkw. Daraus könnte ein Verschulden des Beklagten zu 1) abgeleitet werden. Das setzt jedoch, wie der Sachverständige selbst angeführt hat, voraus, dass von einer ununterbrochen aufmerksamen Fahrweise des Klägers ausgegangen wird. Diese kann jedoch nicht ohne weiteres unterstellt werden. Der Kläger hatte immerhin den sich anbahnenden Auffahrvorgang der Eheleute K... auch nicht wahrgenommen. Dies bedeutet zudem, dass er keinen konkreten Anlass hatte, die sich ihm bietende Verkehrslage in Bezug auf dieses Ereignis besonders aufmerksam zu beobachten. Demzufolge kann eine kurzfristige Unaufmerksamkeit des Klägers nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden. Des Weiteren steht nicht fest, ob der Kläger sich in der Annäherungsphase immer auf der linken Fahrspur befunden hat und mit welcher Geschwindigkeit er dabei fuhr, so dass unklar bleibt, inwieweit er bei der gebotenen Rückschau für den Beklagten zu 1) bereits als in Kürze herannahendes, im Überholen begriffenes und deshalb durch den Ausschervorgang gefährdetes Fahrzeug erkennbar war.
Ist also davon auszugehen, dass auf beiden Seiten ein Verschulden nicht nachweisbar ist, so muss die beiderseitige Betriebsgefahr gegeneinander abgewogen werden. Hinsichtlich des Fahrverhaltens des Beklagten zu 1) ist der bei Herannahen rückwärtigen Verkehrs immer gefahrvolle Fahrspurwechsel zu berücksichtigen. Dagegen steht die Geschwindigkeit des Klägers von etwas über 200 km/h. Diese durfte er fahren, hatte jedoch damit die Autobahn-Richtgeschwindigkeit von 130 km/h um mehr als 70 km/h überschritten. Dass diese Tatsache zu einer Mithaftung des Klägers führen muss, ist nunmehr unstreitig. Zu Unrecht allerdings meint der Kläger, die ihm anzulastende Quote dürfe 25 % nicht übersteigen. Mit Überschreitung der Richtgeschwindigkeit um rund 60 % hat der Kläger ein erhebliches Gefahrenpotential geschaffen, das sich bei dem hier in Rede stehenden Unfall auch ausgewirkt hat. Unstreitig wäre es zu dem Zusammenstoß nicht gekommen, wenn der Kläger die Richtgeschwindigkeit eingehalten hätte. Er hätte sich dann auf das mit einer Geschwindigkeit von unstreitig ca. 110 km/h erfolgte Ausscheren des Beklagten zu 1) unschwer durch eine leichte Bremsung einstellen können. Insbesondere hätte er bei einer Annäherung mit 130 km/h auch das Auffahren der Eheleute K... bemerken und die Reaktion des Beklagten zu 1) hierauf beobachten können. Er hätte dann rechtzeitig erkannt, ob der Beklagte zu 1) auf der rechten Fahrspur bleiben oder zugunsten des auffahrenden Pkw ausweichen wollte.
Die Richtgeschwindigkeit ist aber gerade empfohlen worden, um die Gefahren herabzusetzen, die aus dem Betrieb eines Kfz mit hoher Geschwindigkeit erfahrungsgemäß herrühren. Diese beruhen u.a. darauf, dass ein Kraftfahrer bei einer solchen Geschwindigkeit nur noch dann unfallfrei bleiben kann, wenn alle anderen Verkehrsteilnehmer sich absolut fehlerfrei verhalten. Der öffentliche Straßenverkehr ist nämlich dadurch geprägt, dass sich erlaubtermaßen in ihm eine Vielzahl von Verkehrsteilnehmern bewegen, die dabei den Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung einschließlich des zentralen Gebots der Rücksichtnahme unterworfen sind. Damit stellt der Straßenverkehr ein Regelungssystem dar, innerhalb dessen bei Einhaltung der in ihm geltenden Bestimmungen und rücksichtsvoller Fahrweise Unfälle weitestgehend vermieden werden können. Jede Straßenverkehrssituation beinhaltet demnach einen Spielraum, innerhalb dessen sogar mittelschwere Regelverstöße und kurzfristige Unaufmerksamkeiten durch die anderen Verkehrsteilnehmer ausgeglichen werden können. Bei einer Geschwindigkeit, wie sie der Kläger inne hatte, ist dies aber nicht mehr möglich. Wer so fährt führt zugunsten seines eigenen schnellen Fortkommens den gegebenen Unfallvermeidungsspielraum gegen Null zurück. Eine Geschwindigkeit von mehr als 200 km/h ermöglicht es nicht mehr, Unwägbarkeiten in der Entwicklung einer regelmäßig durch das Handeln mehrerer Verkehrsteilnehmer geprägten Verkehrssituation rechtzeitig zu erkennen und sich darauf einzustellen. Ebenso wird es unmöglich, ein leichtes Fehlverhalten anderer durch eigene, zumutbare Abwehrmaßnahmen aufzufangen. Des Weiteren erlaubt nur ständige, hoch konzentrierte Aufmerksamkeit, das Fahrzeug in Anpassung an die jeweilige Verkehrslage jederzeit technisch zu beherrschen. Dies bedeutet, dass ein auch nur kurzfristiges Nachlassen der Aufmerksamkeit unfallträchtig ist. Bei solcher Fahrweise wird deshalb die dem Grundsatz nach allen Verkehrsteilnehmern als Risikogemeinschaft auferlegte Pflicht zu unfallvermeidendem Fahren allein auf die anderen verlagert (vgl. BGHZ 117, 343).
Aufgrund der dargestellten Erwägungen ist es nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht den Mitverursachungsbeitrag des Klägers ebenso hoch bewertet hat wie den des Beklagten zu 1).
Nur am Rande sei angemerkt, dass die genannten Überlegungen selbstverständlich auch dann zu einer ebenfalls deutlichen Mithaftung führen müssten, wenn eine mitursächlich gewordene Geschwindigkeit von mehr als 200 km/h gegen ein (leichtes) Verschulden abzuwägen wäre.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 4, 708 Nr. 10 und 713 ZPO.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 16.753,12 € festgesetzt (15.053,48 € = 25 % Klagestreitwert zuzüglich 1.699,64 € = 25 % Widerklagestreitwert; dabei setzt sich der Klagestreitwert zusammen aus 10.660,43 € Zahlungsantrag, 30.000 € Schmerzensgeldantrag und 4.500 € Feststellungsantrag).
Die Drittwiderbeklagte ist an dem Gesamtstreitwert mit 1.699,64 € und die Beklagte zu 2) mit 15.053,48 € beteiligt.
Die Revision ist mangels der Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 und 3 ZPO nicht zuzulassen.
Ende der Entscheidung
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